Vegan leben aus Eigennutz? Ein moralphilosophisches Experiment

Wie sähe eine absolut gerechte Gesellschaftsform aus? Diese Frage ist wohl älter als die Philosophie selbst. Wir wollen diesem Gedanken einmal nachgehen und uns darüberhinaus fragen, wie theoretisch wohl eine faire Welt für alle Menschen und Tiere aussehen müsste, indem wir vier Gesellschaftsmodelle vergleichen.

Rawls Buch der Theorie der Gerechtigkeit

Die Basis der Überlegung: Die Moralphilosophie von Rawls

John Rawls war einer der einflussreichsten US-amerikanischen Philosophen des 20. Jahrhunderts. Sein Hauptwerk “Eine Theorie der Gerechtigkeit” analysierte eine sozialpolitische Grundordnung, die auf den Werten der Gleichheit, Gerechtigkeit und Vernunft beruht.

Er fragt sich, wie die Menschen auf Basis dieser Werte in einem theoretischen Urzustand ihre zukünftige Welt gestalten würden. Dabei stößt er auf ein entscheidendes Problem: Die Menschen würden sich trotz dieser Werte ihre ideale Welt gemäß ihrer eigenen Verhältnisse wünschen; also beispielsweise gemäß ihrer bisherigen Stellung, ihrer Klasse, Herkunft und Geschlecht oder Körperkraft, Intelligenz und natürlichen Talente.
Erläutern wir dieses Problem an dem kleinen Beispiel “Herr und Sklave”: Würde ein Herr und sein Sklave nach einer idealen Welt gefragt werden, würde der Herr wohl für die Beibehaltung der Sklaverei plädieren; und der Sklave wäre für deren Abschaffung. Es käme also zu keiner gesamtgesellschaftlichen Lösung.

Um dieses Problem zu umgehen, bedient Rawls sich einer theoretischen Raffinesse: den Schleier des Nichtwissens. Die Menschen, die über die Gesellschaft der Zukunft entscheiden, wüssten demnach nichts über ihre künftige Klasse oder Herkunft, sondern müssten im Urzustand so gerecht als möglich entscheiden, damit sie im schlimmsten Fall noch gut dabei wegkommen. An unserem Beispiel erläutert, würde der Herr jetzt wohl kaum mehr für eine Gesellschaft mit Sklaven votieren, da er nunmehr in der neuen Gesellschaft ein Sklave sein könnte. Ein Welt ohne Sklaverei ist somit eine bessere, eine gerechtere Welt. 

Denken wir einen Schritt weiter. Wie sähe die Welt nun aus, wenn nicht nur alle Menschen, sondern auch sämtliche Tiere mitbestimmten dürften, wie eine absolut gerechte Welt aussehen müsste. Die Sklaverei hätte zwar keine Chance mehr – aber wie sieht es mit Massentierhaltung aus?

Eine gerechte Welt für Menschen und Tiere

Stellen wir uns also vor: Tiere und Menschen im Urzustand. Niemand wüsste vorher, welche Rolle das jeweilige Lebewesen in einer gerechten Gesellschaft einnehmen wird. Man könnte demnach ein Mensch, eine Biene oder ein Mastschwein sein. Wie würden Menschen und Tiere dann wohl über eine absolut gerechte Welt abstimmen. Vier Szenarien stünden zur Auswahl:

  1. Kannibalistische Gesellschaft:
    Menschen und Tiere dürfen sich gegenseitig töten und essen.
  2. Carnivorische Gesellschaft:
    Nur Menschen dürfen Tiere töten und essen. 
  3. Vegetarische Gesellschaft:
    Menschen dürfen Tiere weder töten noch essen, aber deren körperliche Unversehrtheit und Freiheit massiv einschränken, um tierische Produkte zu gewinnen.
  4. Vegane Gesellschaft:
    Das Recht auf Leben und Freiheit gilt für Menschen und Tiere gleichermaßen.

In der heutigen Zeit leben wir mit mehr oder minder guten Gewissen in einer carnivorischen Welt, doch für welche der vier Gesellschaftsformen würdet Ihr euch entscheiden, wenn Ihr nicht wüsstet, ob Ihr im nächsten Leben als Mensch oder Tier wiedergeboren werdet?

Tiere und Menschen: Ein Lamm wird von einem Jungen getragen